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VOM HABEN UND SEIN
Meine derzeitige fotografische Langzeitstudie widmet sich einfühlsam den tiefgreifenden Auswirkungen der deutschen Wiedervereinigung auf die Lebensrealitäten in den Neuen Bundesländern. Die Vereinigung Deutschlands im Jahr 1990 markierte zweifellos einen historischen Meilenstein, der jedoch nicht ohne Konsequenzen blieb. Durch meine Kamera möchte ich das komplexe Gefüge der Veränderungen und deren philosophische Dimensionen erfassen. Die Überwindung der Teilung brachte nicht nur politische und wirtschaftliche Neuerungen mit sich, sondern führte auch zu tiefgreifenden Veränderungen im sozialen Gefüge der ehemaligen Ostgebiete. Die damit einhergehende Zerstörung der Infrastruktur und der Sozialstruktur erschwerte den Menschen in den Neuen Bundesländern den Zugang zur Gesellschaft und ihren Ressourcen. Insbesondere die Einführung der Agenda 2010 führte zur Entstehung des größten Niedriglohnsektors Europas und schwächte die Gewerkschaften, was zu einer verstärkten sozialen Kluft in Deutschland führte. Menschen, die zuvor in stabilen Beschäftigungsverhältnissen standen, wurden plötzlich mit der Notwendigkeit konfrontiert, ihren Lebensunterhalt nicht mehr angemessen bestreiten zu können. Anstatt sich auf die Erhöhung der Mindestlöhne und eine gerechtere Ressourcenverteilung zu konzentrieren, wurde eine Atmosphäre geschaffen, in der diejenigen, die bereits benachteiligt waren, gegen die noch Schwächeren aufgehetzt wurden. Diese besorgniserregende Entwicklung wurde durch Medieninszenierungen des "Armen-Bashings" verstärkt, die in den gängigen Fernsehsendern Einzug hielten. Die tragische Konsequenz davon war nicht nur die Stärkung rechtsextremer Kräfte in Deutschland, sondern auch in ganz Europa. Statt jedoch die strukturellen Gründe für diese Entwicklungen zu hinterfragen und nach einer gerechteren Verteilung von Ressourcen zu suchen, wurden jene, die diese Fragen aufwarfen, oft abgewertet und marginalisiert. Das vorherrschende mediale Narrativ prägt das Bild von Menschen in den Neuen Bundesländern, die angeblich aus Dummheit die AfD wählen. Dadurch wird das Argument der mangelnden Partizipation und politischen Mitbestimmung diskreditiert. Dabei wird jedoch übersehen, dass die eigentliche Problematik in der anhaltenden Armut liegt, die trotz sichtbarer Veränderungen in diesen Regionen weiterhin existiert. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass wir uns ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, wie wir gewährleisten können, dass die Menschen in den Neuen Bundesländern stärker in die Gesellschaft eingebunden werden und eine gerechtere Verteilung der Ressourcen erreicht wird, um jedem Einzelnen eine realistische Perspektive auf eine bessere Zukunft zu bieten. Durch meine fotografische Arbeit möchte ich nicht nur die Stimmen der Arbeiterschaft hervorheben, sondern auch eine ästhetische Reflexion anstoßen. Im besten Fall hoffe ich, ein neues Klassenbewusstsein zu wecken, das die Bedeutung sozialer Gerechtigkeit in den Fokus rückt. Meine Bilder sollen dazu dienen, die sozialen Ungerechtigkeiten und die damit verbundenen Herausforderungen, mit denen Menschen in den Neuen Bundesländern konfrontiert sind, einfühlsam zu dokumentieren. Auf philosophischer Ebene möchte ich den Betrachter dazu anregen, über das entfremdete Selbst in einer fragmentierten Gesellschaft nachzudenken und den Diskurs über eine gerechtere Ressourcenverteilung zu beflügeln. Indem ich die emotionale Kraft der Fotografie nutze, strebe ich danach, das Bewusstsein für die Komplexität der sozialen Realitäten zu erweitern und den Weg für einen tiefgründigen gesellschaftlichen Dialog zu ebnen.














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